Operation Schönebeck

Wie alles begann...

Dem Hinweis eines Hobbykollegen folgend, dass sich dort noch einige DDR-Computer befänden, fuhr ich im Frühjahr 2005 nach Schönebeck und machte eine Begehung des stillgelegten Dieselmotorenwerkes.


altes Hauptwerktor (bis 1990) des Dieselmotorenwerks

neues Hauptwerktor (ab 1990) des Dieselmotorenwerks

Gebäude der Werkerprobung im Dieselmotorenwerk

Zerstörte Elektroinstallation in einem Gebäude

Das Werk bot einen stark verwilderten Eindruck: zugewachsene Wege, baufällige Häuser, herumliegende Metallteile. Die Werkhallen waren inwendig nahezu komplett ausgeräumt: Ein Großteil der Anlagen wurde bei der Stilllegung abgebaut und der Rest durch Plünderer abmontiert und vermutlich bei Schrottfirmen zu Geld gemacht. Die meisten Fensterscheiben waren eingeschlagen. Durch viele Dächer tropfte bereits das Regenwasser und ließ Moos und Farne in den Werkhallen wachsen, was dem Umfeld einen sehr dekadenten Charakter verlieh.


Werkhalle im Dieselmotorenwerk (Serienprüfstände)

Werkhalle im Dieselmotorenwerk (ehemalige MSR-Werkstatt)

Einst die Lebensgrundlage von 1000 Menschen...

...nun nur noch eine Ruine (hier die ehemalige Lackiererei)

Die gesuchten Rechner fand ich leider nicht: die waren vermutlich auch bereits Opfer von Metallsammlern geworden. Eher zufällig stieg ich in einer der Werkhallen eine Treppe hoch und ging einen Gang entlang...


Diese Werkhalle schien nichts besonderes zu enthalten...

...was sich bald als Irrtum herausstellte.

Dieser Gang...

...endete an einer Stahltür, die damals noch offen war.

Hinter einer herausgerissenen Stahltür kam ich in einem abgelegenen, stockfinsteren Raum.
Im Schein der Taschenlampe tauchten große, verstaubte EDV-Maschinen auf: Ich war auf das Prozessrechenzentrum des Dieselmotorenwerkes gestoßen!


Das Rechenzentrum von der einen Seite...

...und von der anderen Seite...

...und aus einer dritten Perspektive.

Auch diese URSADAT-Schränke gehörten dazu.

Ich staunte nicht schlecht: nahezu die gesamte Rechentechnik war noch vorhanden und auch in einem sehr guten Zustand. Dieser Umstand lag daran, dass das Rechenzentrum nahezu 1 Jahrzehnt durch die Stahltür verschlossen und damit dem Zugriff von Vandalen und Kupfersammlern weitgehend entzogen war. Kurz vor meiner Begehung war es dann offenbar Plünderern doch gelungen, die Tür zu knacken. Zum Glück beschränkte sich das Interesse dieser Leute vorerst nur auf die Klimageräte, in denen jegliche Kupferteile fehlten, während die Rechentechnik unbeschadet blieb.

Nachdem ich einige Fotos gemacht hatte, was in der Dunkelheit nicht ganz einfach war, beendete ich die Aktion für diesen Tag.


Historischer Hintergrund

Auf dem Gelände der ehemaligen "Preußischen Bohrverwaltung" (einem Teil der "Preußischen Bergwerks- und Hütten AG") entstand nach dem 2. Weltkrieg zunächst die "SAG Gerätebau" (SAG=Sowjetische Aktiengesellschaft) mit 300 Beschäftigten. 1951 wurde der Betrieb verstaatlicht, in den "VVB Fahrzeugbau" eingegliedert und trat dann unter dem Namen "VEB Gerätebau Schönebeck" auf. 1955 erfolgte dann die Umbenennung in "VEB Dieselmotorenwerk Schönebeck".
Neben vielen neu gebauten Häusern und den Gebäuden der "Preußischen Bohrverwaltung" wurden auch einige Gebäude des ehemaligen Salzbergwerkes Schönebeck vom Dieselmotorenwerk benutzt.

Das Werk begann die Fertigung von Dieselmotoren durch die Verlagerung der LKW-Motoren-Produktion aus den Horch-Werken nach Schönebeck.
Im Werk wurden Motoren für Stromaggregate, Wasserpumpen, Kräne, Häckselmaschinen, Schiffe sowie später für die Mähdrescher des "Kombinat Fortschritt" produziert. 1986 feierte man die Fertigstellung des 300.000sten Dieselmotors. Das Dieselmotorenwerk, ab 1985 mit dem "Traktorenwerk Schönebeck" vereinigt, war eine der größten Firmen in Schönebeck und bildete den Arbeitsplatz für über 1000 Mitarbeiter.


Verladebahnhof im Dieselmotorenwerk, Mitte der 1980er Jahre

Winter im Dieselmotorenwerk

Luftgekühlter Dieselmotor 4D 14,5/12-1

Fertigung von 8-Zylinder-Dieselmotoren

Produktionshallen des Werkes

Eins der schönen alten Verwaltungsgebäude

1982 wurde das Prozess-Rechenzentrum eingerichtet. Seine Funktion bestand in der Erfassung von Messgrößen von Prototypen-Motoren. Es enthält den vermutlich allerletzten von Robotron gebauten Rechner des Typs R4201, eine Tatsache, die den guten Erhaltungszustand der Geräte stützt.


Bild "unseres" Rechenzentrums im Jahr 1985

Bild "unseres" Rechenzentrums im Jahr 1985

Anhand zweier Bilder aus einer alten Zeitung lässt sich erkennen, dass sich das Rechenzentrum 2005 geräteseitig noch in demselben Zustand befand, wie im Jahr 1985.

Für organisatorische Arbeiten (Buchhaltung, Lohnrechnung) gab es im Dieselmotorenwerk seit 1975 außerhalb des Werksgeländes ein weiteres Rechenzentrum, ebenfalls auf Basis eines R4201-Rechners. Von diesem zweiten Rechenzentrum scheint heute nichts mehr zu existieren.
Auch das Traktorenwerk hatte ein Organisations-Rechenzentrum (anfangs mit einem R300-Rechner, später mit einem R21-Rechner ausgestattet), das ab der Vereinigung mit dem Dieselmotorenwerk von beiden Firmen gemeinsam genutzt wurde. Dieses Organisations-Rechenzentrum wurde leider schon in den 1990er Jahren kurz nach der Schließung des Werkes ausgeräumt, entsorgt und abgerissen.

1995 kam die Schließung des größten Teils des Werkes und damit auch des Prozess-Rechenzentrums.
Die stillgelegten Werkhallen des Dieselmotorenwerkes wurden seit Sommer 2005 systematisch abgerissen, ein Schicksal, das das Prozessrechenzentrum auch bald teilen sollte.

Die ehemalige Fertigungshalle für die Mähdreschermotoren wird heute von Daimler-Chrysler benutzt.
Eine kleine Belegschaft produziert heute noch auf einem Teil des Geländes Ersatzteile für Motoren.


Technischer Hintergrund

Für die Erprobung neuer Motoren gab es im Erdgeschoss der Werkhalle mehrere Prototypen-Prüfstände, auf denen neue Motorentypen verschiedenen Belastungstests ausgesetzt wurden. Jeder Prüfstand war in einem eigenen Raum, dessen Wände mit schalldämmenden Materialien verkleidet war, untergebracht. Die Motoren wurden per Gabelstapler her transportiert, auf dem Prüfstand verankert und die notwendigen Anschlüsse (Treibstoff-Zufuhr, Luft-Zufuhr, Abgas-Abfuhr) sowie die Steuerleitungen ("Gas-Pedal") angebracht. Als Belastung für die Motoren dienten anfangs Wasserwirbel-Bremsen, später Elektrogeneratoren. Über einen schwenkbaren Kranarm wurden Messfühler (z.B. Schwingungs- oder Temperatursensoren) am Motor befestigt.
Anschließend begann der Probelauf der Motoren, der sich über einen längeren Zeitraum erstrecken konnte. Der Prüfstandsfahrer befand sich dazu im Nachbarraum und bediente dort über ein Steuerpult den zu prüfenden Motor, den er durch eine Fensterscheibe auch beobachten konnte.


Schild am Eingang der Werkerprobung.


Ehemaliger Dauerlaufprüfstand. Vorn das Abgasrohr.
Hinten die Tür und das Fenster zum Bedienzimmer.

Prüfstand-Steuerpult im Jahr 1985
rechts ein PBT4000, oben links das Bedienteil des Modems

Dasselbe Steuerpult im Jahr 2005
Die Tür rechts führt zum Prüfstand.

Überreste von Prüfständen.

Überreste von Prüfständen.

Während des Probelaufs wurde über die Sensoren das Verhalten der Motoren überwacht und die Ergebnissen rechentechnisch aufgezeichnet und ausgewertet.


Thermostate an der Prüfstandswand.
Sie dienten als Vergleichsmessstelle für die Messfühler.

Thermostate an der Prüfstandswand.


Hier kam nun unser Prozess-Rechenzentrum zum Einsatz: Die Messwerte wurden in die URSADAT-Anlage eingespeist, dort verstärkt und digitalisiert und dann multiplex über 4 Leitungen (SI1.2-Interface) dem zentralen Prozessrechner R4201 zugeführt.
In jedem Prüfstand-Bedienzimmer befand sich ein Terminal, das jeweils über ein Modem mit dem Prozessrechner gekoppelt war und über das der Prüfstandsfahrer die Ergebnisse der Berechnungen einsehen konnte. Diese Terminals waren, bis auf ein ziemlich zerstörtes, im Jahr 2005 leider nicht mehr vorhanden.
(Falls jemand etwas über den Verbleib der Terminals weiß, bitte mal bei uns melden).

Zur Bedienung des R4201-Rechners gab es im Prozess-Rechenzentrum zwei Bediendrucker, mit denen Tastatureingaben durchgeführt sowie die Antworten des Rechners auf dem Druckwerk ausgegeben wurden (Bildschirmgeräte waren damals noch sehr selten).
Zum Booten des Rechners sowie zur Verarbeitung kleiner Datenmengen wurden Lochbandgeräte benutzt, ebenso zum Einlesen neuer Motordaten. Als Datenspeicher für größere Datenmengen kamen ein Magnetbandsystem und ein Wechselplattensystem zum Einsatz.
Schließlich gab es noch einige Systemdrucker, auf denen die Rechenergebnisse festgehalten wurden.
Aus dem noch in den Druckern befindlichen halbbedruckten Papier lässt sich schlussfolgern, dass die Anlage bis zum Tag der Werks-Stilllegung arbeitete und dann einfach abgeschaltet wurde.


Das letzte Blatt Papier

Von den Prüfständen selbst war bei meinem Besuch nicht mehr viel übrig: Im Fußboden befanden sich noch die Schwingungsdämpfer, auf denen einst die Prüflinge standen, einige Rohre und Schläuche wanden sich in grotesken Verrenkungen im Raum. Die Messköpfe (Sensoren) fehlten komplett.
Die Steuerpulte in den Bedienerzimmern waren dagegen äußerlich noch recht gut erhalten. Die ehemals im gleichen Raum befindlichen PBT4000-Terminals fehlten wie bereits erwähnt. Und die Klimageräte, die den Prüfstandsfahrern erträgliche Arbeitsbedingungen schaffen sollten, waren nur noch in Fragmenten vorhanden.


Inventarverzeichnis des Rechenzentrums

Im Rechenzentrum befand sich 2005 folgende Computertechnik:

Der Rechner R4201 von links...

...und von rechts

Plattenlaufwerk ISOT1370...

...und Magnetbandgerät MBE4000.

Das Lochbandleserschränkchen...

..und das Lochbandstanzerschränkchen.

Bediendrucker BD4000...

...und Systemdrucker SD1156.

Drei weitere Geräte gehörten noch dazu, waren aber nicht mehr auffindbar: ein Lochbandleser daro1210, ein weiterer Lochbandstanzer daro1215 sowie ein weiteres Modems TAM601.
Falls jemand weiß, wohin diese Geräte entführt wurden, bitte bei uns melden: wir möchten die Anlage gern wieder komplettieren.

An Nicht-Computer-Technik befanden sich im Rechenzentrum:

Das Zimmer des Rechenzentrums

Der Raum hatte geometrisch die Form des Buchstaben "L". Die lange Seite maß ca. 8 Meter und die kurze Seite ca. 5 Meter. Der Fußboden war als Ständerbau mit ca. 20 cm Höhe hochgesetzt und mit Platten aus Pressspan, deren Oberseite mit einer Kunststoffbeschichtung versehen waren, belegt. Darunter waren die Kabel der Geräte (Datenleitungen und Stromleitungen) durchgefädelt. Die Kabel fühlten sich klebrig an, was offenbar von einem Gummipflegemittel her rührte, das in den 20 Jahren die Oberfläche der Gummiisolierung erfolgreich vor Korrosion schützte, weshalb sich die Kabel auch einem hervorragenden, wenn auch schmutzigen, Zustand befanden.


Raumplan des Rechenzentrums

Zwecks Schalldämmung waren die Seitenwände und die Zimmerdecke mit Schallschutzplatten (gelochte Blechplatten mit Dämmmatten dahinter) verkleidet. Sie sollten einerseits den Lärmpegel im Rechenzentrum senken und andererseits für Ruhe in den angrenzenden Büros sorgen (Lochbandstanzer und Drucker erzeugen bei ihrer Arbeit ziemlich viel Lärm).


Der Fußboden, 1 Platte geöffnet

Kabelführung unter dem Fußboden

Ursadat-Verkabelung im Fußboden

Ursadat-Verkabelung im Fußboden

Beleuchtung und Schalldämmung an der Decke

Dämmmatten hinter der Verkleidung an der Seitenwand

Über mehrere Reihen Leuchtstofflampen (vom VEB NARVA Leuchtenbau Berlin mit zwei 65W-Stäben "LS65-1" warmweiß) wurde der ansonsten fensterlose Raum mit Licht versorgt. Einige Leuchtstofflampen fehlten 2005 bereits, waren offenbar Plünderern zum Opfer gefallen. In der Vergangenheit befanden sich an den Wänden Notlicht-Taschenlampen, die bei Ausfall der Beleuchtung die Orientierung im Zimmer erleichtern sollten. Diese Lampen fehlten 2005 auch bereits.
An der Decke waren einige elektronische Rauchmelder angebracht, die im Brandfall die Feuerwehr benachrichtigt hätten.


Rauchmelder an der Zimmerdecke


Extra für's Foto noch einmal zusammengebaut:
Eins der Klimageräte

Zur Ableitung der Computerwärme (es handelte sich um einige Kilowatt) sowie wegen unter dem Fußboden befindlichen Motorenprüfstände gab es vier Kompressor-Klimageräte, die für Kühle im Rechenzentrum sorgten und die Abwärme durch Schächte in den Wänden nach außen beförderten. Diese Geräte waren 2005 wegen der ehemals vorhandenen Kupfer-Wärmetauscher total ausgeschlachtet.

Die Stromversorgung des Raumes erfolgte zentral über einen Schaltkasten, der neben den Sicherungen auch eine Anzeige für die Netzspannung enthielt. Die großen Geräte hatten verschraubte Stromanschlüsse, die kleineren Geräte wurden über Steckdosenwürfel, die auf den Fußboden befestigt waren, mit Energie versorgt. Die Erdleitungen (Schuko) waren über dicke separate Kabel geführt und über Verteilschienen mit den einzelnen Geräten verbunden.


Die zentrale Stromeinspeisung


Steckdosenwürfel.
Vorn ein Schlitz für die Kabeldurchführung unter dem Fußboden.

Das Dach des Hauses war bereits stellenweise undicht. Es tropfte in einer Ecke des Zimmers von der Decke, sodass die Fußbodenplatten waren an dieser Stelle weggefault waren. Zum Glück befand sich keine Rechentechnik in diesem Bereich. Die URSADAT-Anlage hatte ein Unbekannter in der Vergangenheit deswegen vorsorglich mit einer Plane abgedeckt.


Die nasse Ecke.
Rechts die Überreste der Klimageräte

Zum Rechenzentrum führte früher außer der Innentreppe noch eine Außentreppe, über die vermutlich damals auch die Geräte angeliefert worden sind. Diese Treppe war leider nicht mehr vorhanden und so endete die Außentür am Abgrund der Hauswand. Ein Umstand, der uns später noch einige Probleme machen sollte, aber auf diese Weise das Rechenzentrum auch von der anderen Seite vor Plünderern geschützt hatte.


Diese Tür führt ins Nichts.
Was philosophisch auch für das gesamte Werk zutraf.

Die Rückseite des Gebäudes, von malerischem Grün umrahmt.



Die Bedrohung

Noch vollständig erhaltene Rechenzentren aus der DDR zu finden, ist heute nahezu unmöglich. In den wenigen Museen, die sich mit Rechentechnik beschäftigen, ist eine solche Anlage bisher nicht vorhanden. Der Fund in Schönebeck ist damit ein absoluter Glücksfall, der sich vielleicht niemals wiederholen wird.
Schnell reifte die Überzeugung im Kreis der Hobbykollegen, die Rechentechnik irgendwie zu retten.
Aus 2 Gründen arbeitete dabei die Zeit gegen uns: Letzteres Problem war das dringendere. Wir hängten als erstes die auf dem Boden liegende Stahltür wieder ein und reparierten das Türschloss. Durch weitere Sicherungsmaßnahmen konnten wir einen unbefugten Zugang zum Prozess-Rechenzentrum erst einmal verhindern. Dass diese Maßnahmen gerechtfertigt waren, zeigte sich schnell: Schon wenige Tage später hatten wieder irgendwelche "Besucher" versucht, die Tür mit Brechstangen aufzuhebeln. Zum Glück hielt das Schloss diesmal.
Um nicht noch mehr Abenteurer auf das "Angebot" aufmerksam zu machen, wahrten wir erst einmal Stillschweigen über das Projekt.

Nun konnten wir uns um das andere Problem kümmern: der drohende Abriss des Gebäudes. Ein Kontakt zur Abrissfirma "EP-Bau" und zum Besitzer des Grundstücks (GESAS) war schnell hergestellt. Der Abriss des betreffenden Gebäudes war auf Oktober 2005 festgesetzt und unaufhaltbar.


Der Abriss der Gebäude kommt immer näher.
Aufnahme von der Außentür des Rechenzentrums

Oktober 2005: Rund um das Rechenzentrum
sind schon fast alle Gebäude bereits abgerissen

Es gab also nur eine Möglichkeit: Das Rechenzentrum muss umziehen. Nur das Problem: wohin?
Eine Anlage dieser Größe überstieg die Platzreserven aller Hobbykollegen und überforderte auch logistisch jeden einzelnen.


Der Rettungsplan

Also nahmen wir Kontakt zu verschiedenen Museen auf. Weiterhin ergab sich ein Kontakt zur Schönebecker Firma SBSK, deren Vorgänger in den 80er Jahren die Wartung genau dieses Rechenzentrums durchführte. Da SBSK Interesse an einer öffentlichen Präsentation der Anlage hatte, fiel die Entscheidung des Verbleibs der Anlage auf diese Firma.


Ein Rechenzentrum geht auf Reisen

Die Geräte aus dem Rechenzentrum zu bringen, war alles andere als einfach.
Als erstes musste Licht in das Zimmer gebracht werden. Da natürlich keine Steckdose mehr Strom führte, lösten wir das Problem zwischenzeitlich durch einen LKW-Akku, den wir ins Werk schleppten und der uns durch ein Lämpchen bei den weiteren Arbeiten zumindest ein spärliches Licht lieferte. Trotzdem blieben die Taschenlampen unsere ständigen Begleiter.

Die Verkabelung der Geräte war, wie bei Rechenzentren üblich, durch den Fußboden gefädelt. Es begann also alles mit einer Beschriftung der Datenstecker und -Steckdosen sowie dem Herausfädeln der Kabel aus dem Fußboden, was sich als eine mehrtägige Aktion herausstellte. Die sommerliche Hitze im Zimmer und das spärliche Licht bildeten kein gutes Arbeitsumfeld. Am Ende war ein guter Zentner Datenkabel aus dem Fußboden geholt.


Erforschung des Rechners und Planung des Abbaus


Der Abbau beginnt.
Rechner und Plattenlaufwerk sind teilweise demontiert.

Zerlegung des Rechners

Zerlegung des Rechners

Beratschlagung und Inventarisierung

Die ausgebauten Datenkabel

Da die Außentreppe nicht mehr existierte, blieb vorerst für den Abtransport nur die enge Innentreppe. Kleinere Geräte, wie Lochbandtechnik, konnten wir nun schon sicherstellen und per PKW abtransportieren.

Aber was wird mit den schweren Teilen? Der Plattenturm wog allein schon über 200 kg, ganz zu schweigen vom Rechner mit seinen 300 kg. Wir kamen also um eine Zerlegung der Geräte nicht herum: Speziell die beiden letzten Schritte erwies sich als schwierig, da viele Leitungen aufgetrennt werden mussten. So gingen mit den "kleinen" Arbeiten einige Wochen ins Land, ständig in der Gefahr, dass die Anlage doch noch Vandalen zum Opfer fällt. Diese Befürchtung war nicht umsonst: während wir oben die Technik zerlegten, tapsten unten andauern irgendwelche Besucher durch die Werkhallen.


Plattenlaufwerk, demontiert

Unterseite eines ausgebauten Plattenlaufwerks

"Biete kompakte 1-Raum-Wohnung":
Demontage der Datenkabel im Rechner

Hier bin ich am Werk:
Demontage der Rauchmelder und der Schalldämmung

Im August 2005 war es dann soweit: der Abtransport der schweren Geräte konnte beginnen. Das Wetter kam der Aktion zwar nicht sehr entgegen (es regnete mal wieder), aber es ergab sich die Möglichkeit, mit dem von SBSK zur Verfügung gestellten LKW bis in die Werkhalle hereinzufahren und die Geräte trocken zu verladen. Durch die Firma EP-Bau wurde für diesen Tag über ein langes Stromkabel Licht ins Rechenzentrum gelegt. Der Abtransport der mittelschweren Geräte, wie Drucker und Bediendrucker, konnte nun über die Innentreppe erfolgen. Währenddessen wurden die restlichen beiden noch verbundenen Rechnerschränke zerlegt. Die extraschweren Teile, wie die Schränke des Bandlaufwerks und des Plattenturms sowie die Rechnerschränke hob ein Mitarbeiter der Firma EP-Bau mit einen Radlader an der bereits erwähnten Außentür aus der 1. Etage heraus.


Hochbetrieb im Rechenzentrum: Abtransport der Komponenten


Behutsam werden ein Rechnerschrank und das
Bandlaufwerk abgesetzt.

Das Rechenzentrum leert sich langsam...

...und sein Anblick gleicht sich dem der übrigen Räume an

Geschafft! Abendstimmung im Dieselmotorenwerk.

Anschließend fuhr der Transporter zur Firma SBSK ab, wo die Geräte vorerst provisorisch eingelagert wurden.

Zu späteren Zeitpunkten machten wir noch mehrere Nachleseaktion, bei denen wir zurückgebliebene Teile sowie einen in einem anderen Gebäude befindlichen Organisationsautomat daro528 sicherstellten.


Auch Teile des Fußbodens haben wir ausgebaut...

...und blockweise abtransportiert.

Demontage der letzten Wandverkleidungen

Ausschlachtung der URSADAT



Das Ende des Dieselmotorenwerks

Leider war es uns nicht gelungen, auch die URSADAT-Anlage zu bergen. Die sechs URSADAT-Schränke hatten jeweils ein Gewicht von bis zu 400 kg. Der Abbau der Schränke mit ihren hunderten von Verbindungskabeln hätte einen zu großen zeitlichen Aufwand bedeutet. Daher hatte wir die Anlage zur Ausschlachtung freigegeben, sodass zumindest einige einzelne Baugruppen bei Hobbykollegen überleben werden.
Kurz nach der Ausräumung gelang es anderen "Besuchern", die Stahltür des Rechenzentrums wieder aus den Angeln zu reißen. Es ist ein gutes Gefühl zu wissen, dass der Rechner nun in Sicherheit ist.

Die Gebäude des Werkes wurden währenddessen eins nach dem anderen abgerissen. Leider sind dabei auch die schönen historischen Gebäude des ehemaligen Salzbergwerkes der Baggerschaufel zum Opfer gefallen. Die Erhaltung dieser Gebäude wäre technisch sicher möglich gewesen, widersprach aber offenbar den Plänen der Grundstücksbesitzer.


Unaufhaltsam frisst sich der Bagger voran...


...und ist mittlerweile am Rechenzentrum angekommen,
das nun seinen letzten Tag erlebt.

Ein Tag später.

Die Reste der URSADAT untere Tonnen von Schutt

Das letzte Bild erweckt den Anschein, als versuchte die Stahltür ein letztes Mal, die restliche Elektronik vor der Zerstörung zu retten. Diesmal vergeblich.

Mittlerweile ist das Gelände von Schutt bereit und planiert und die Natur erobert es sich in Form eines grünen Bewuchses zurück.
Durch unsere Rettungsaktion sind wir somit zu den letzten (wenn auch nur ehrenamtlichen) Arbeitern des Dieselmotorenwerks geworden.


Hier stand einmal das Dieselmotorenwerk.
Aufnahme von 2007.


Die Zukunft

Die geretteten Geräte sind mittlerweile gereinigt und als Ensemble wieder aufgestellt.


In diesem Gebäude steht jetzt das Rechenzentrum...

...und so sieht es derzeit aus.

Im nächsten Schritt ist dann eine Reparatur geplant. Die Anlage soll also in fernerer Zukunft wieder funktionsfähig gemacht werden. Eine besondere Herausforderung wird der Versuch werden, die im Kernspeicher möglicherweise noch vorhandene Software (Betriebssystem, Anwenderprogramm und Daten) zu retten.

Der Lochbandstanzer hat bereits Reinigung und Reparatur hinter sich und war als erste Komponente wieder einsatzbereit. Auch die beiden Lochbandleser sind repariert und warten nun auf ihren Einsatz.


Danksagung

Ich möchte auf diesem Weg allen Mitwirkenden danken, dass die Rettung dieses einzigartigen Rechenzentrums möglich gemacht wurde, insbesondere:


Auch in der Zeitung wurde von der Rettungsaktion berichtet. Das Bild zeigt die Geräte kurz nach der Einlagerung bei SBSK.





Letzte Änderung dieser Seite: 10.02.2020Herkunft: www.robotrontechnik.de