Digitale Messgeräte des VEB Funkwerk Erfurt aus Anwendersicht

Bis zur Erfindung der digitalen Messtechnik war die Auswertung von großen Messreihen ein mühseliges Unterfangen. Die mittels Linienschreiber auf Liniendiagrammen aufgezeichneten Werte mussten entweder von Hand in Zahlenwerte umgesetzt werden oder als Mittelwerte über einen bestimmten Zeitraum mittels Polarplanimeter integriert und dann aufgeschrieben werden. Weitere Auswertungen wurden dann auf mechanischen Rechenmaschinen durchgeführt. Später auch in Lochkarten oder Lochbänder gestanzt und einer Auswertung am Großrechner zugeführt. Bei dieser monotonen Arbeit war die Fehlerhäufigkeit sehr groß.
Ein Ausweg lag darin, bei der Messwerterfassung sofort einen maschinenlesbaren Datenträger zu erstellen und damit Ablese- und Abschreibfehler auszuschließen.

Mit diesem Ziel wurde Anfang der 1970er Jahre auch in der DDR im VEB Funkwerk Erfurt ein Einheitliches System Digitaler Messwerterfassungsanlagen (kurz ESDM) entwickelt. Diese erste ESDM-Generation war noch völlig in diskreter Technik mit Germaniumtransistoren aufgebaut. Die Geräte waren dann entsprechend groß (siehe Bild 1)


1. Generation ESDM an der Hochschule für Bauwesen Leipzig 1975

Die abgebildete Anlage bestand aus zwei Gerätestapeln von links oben nach rechts unten:

1. Generation ESDM

1. Generation ESDM

Der Lochbandstanzer steht daneben. Auf dem Fensterbrett steht die Lochbandaufwickel- und Umspulmaschine. Das kleinere Kästchen zwischen Anlage und Lochbandstanzer war eine Bedieneinheit, mit der es möglich war, von Hand alphanumerische Zeichen auf dem Lochbandstanzer auszugeben.
Vorn sind nur geschirmte Verbindungen vom Ausgang des Messstellenumschalters (MSU) zum Eingang des Digitalvoltmeters (DVM) zu sehen, sowie die Steuerleitung für das Druckersteuergerät. Alle anderen Anschlüsse erfolgten von der Rückseite über das Standardinterface 1.2 (eine parallele Verbindung) über ein 32-poliges Kabel (siehe Bild 2). Für jede übertragene Ziffer standen 4 Leitungen zur Verfügung, die die Ziffer binär codiert übertrugen. Mit einem Kabel konnten so 8 Ziffern parallel übermittelt werden, ausreichend für eine dreistellige Messstellennummer und einen vierstelligen Messwert mit Vorzeichen. Die Gültigkeit der anliegenden Signale wurde über extra Steuerleitungen gesichert.


Verbindungskabel für SI1.2

Über gleiche Stecker wurden die Messstellen an den MSU angeschlossen. Je Block einmal 12 und einmal 13 Messstellen in einem Stecker zusammengefasst. Die Kontaktstifte waren versilbert. Steuersignale wurden über Koaxialkabel miteinander verbunden. Der Anschluss an das Stromnetz erfolgte über Spezialstecker (siehe Bild 3)


Spezialstecker für den Anschluss an das Stromnetz

Der Messablauf für zyklische Messwerterfassung gestaltete sich folgendermaßen: Vor dem Start einer Messserie erfolgte am MSU die Auswahl des abzufragenden Messstellenbereiches. Die erste und letzte abzufragende Messstelle wurde mit Kodierschaltern ausgewählt und eingestellt. Am Zeitgebersystem wurde der gewünschte Messtakt ausgewählt. Die Quarzuhr gab das Startsignal für den MSU entsprechend dem eingestellten Takt. Gleichzeitig wurde die aktuelle Uhrzeit auf dem Lochband ausgestanzt. Der MSU schaltete die erste ausgewählte Messstelle auf den Ausgang durch und es wurde mit einer einstellbaren Verzögerung ein Steuersignal an das DVM gegeben, um den Messvorgang auszulösen. Nach Abschluss der Messung gab das DVM eine Fertigmeldung an die Lochbandsteuerung, welche den Messwert auf dem Stanzer ausgab. Danach ging die Fertigmeldung an den MSU, um die nächste Messstelle einzuschalten. Der Vorgang wiederholte sich, bis die letzte Messstelle gemessen und gestanzt war. Danach wurde auf den nächsten Takt gewartet. Parallel zum Stanzer konnten die Messwerte auch auf einem Journaldrucker in 5 Kolonnen zu je 12 Ziffern lesbar zu Papier gebracht werden. Von Wert zu Wert vergingen dann ca. 5 Sekunden. Die schnellste mögliche Taktzeit der Quarzuhr wurde deshalb von der Anzahl der Messstellen bestimmt. Die abgebildete Anlage wurde im Jahre 1973 für ca. 250.000,00 Mark angeschafft, arbeitete nach Startschwierigkeiten zuverlässig von 1975 bis 1979 an der Hochschule für Bauwesen im Bauphysikalischen Labor und unterstützte die Forschungsarbeiten, in denen vor allem Klimadaten und Temperaturen an und in Bauwerksteilen unter natürlichen Bedingungen erfasst wurden. Die Startschwierigkeiten lagen vor allem darin, dass mit dieser Anlage völliges Neuland betreten wurde. Die Tücken der Germaniumtechnik mussten erst durch viele Fehlversuche erkannt und überwunden werden. Die Empfindlichkeit der Geräte in Bezug auf Spannungs- und Temperaturschwankungen sowie Erdschleifen war ganz erheblich und mussten nacheinander erkannt und kompensiert werden. Auch Laufzeiteffekte bei den Steuerleitungen mussten berücksichtigt werden. Ebenso brachten die versilberten Kontakte am MSU Probleme bei der Messung von Thermospannungen, weil sie mit der Zeit oxidierten. Das DVM war darüber hinaus auf die Sinusform der Netzspannung angewiesen. Ein Ausgleich der zu dieser Zeit üblichen Netzspannungsschwankungen über einen magnetischen Spannungskonstanthalter mit Transduktor führte auch zu Fehlmessungen. Während man in Leipzig noch mit den Tücken der Geräte kämpfte, wurden diese in Erfurt bereits durch eine zweite Generation abgelöst. Dabei war die temperaturempfindliche, diskrete Germaniumtechnik bereits durch Siliziumtechnik abgelöst und zur Bestückung kamen vorwiegend die KME3-Bausteine aus dem VEB Keramische Werke Hermsdorf zum Einsatz.

Diese 2. Generation wurde jedoch schnell durch die dritte Generation abgelöst. Diese Geräte liefen unter dem Namen ESDM 31 und waren mit den integrierten Schaltkreisen der D100-Serie bestückt. Sie hatten schon die Möglichkeit, direkt von einem Rechner gesteuert zu werden. Insgesamt umfasste das System folgende Möglichkeiten (siehe Bild 4)


Übersichtsschaltplan ESDM3

Aus der Fülle der Geräteangebote wurde an der Hochschule für Bauwesen Leipzig 1977 eine Messwerterfassungsanlage mit folgenden Geräten zusammengestellt (siehe Bild 5)


Digitale Messwerterfassungsanlage aus Geräten des ESDM 31 Systems
im Bauphysikalischen Labor der Hochschule für Bauwesen Leipzig im Jahre 1985

Von oben nach unten sind das: Links neben der Anlage steht ein Spannungskonstanthalter, davor ein Fernschreiber, der von einem K1510-Rechner als Drucker verwendet wird. Rechts und links am Anlagenschrank hängen die Vergleichsstellenthermostate für die Thermoelementmessung. Rechts von der Anlage befinden sich die analogen Anzeigen für die Wind und Regenmessung. Weiter rechts noch ein Fernschreiber, der Lochbandstanzer daro1215 für die Messwertausgabe, der Lochbandleser daro1210 für den K1510-Rechner. Darunter sind die Ansteuerelektroniken für die Lochbandgeräte. Daneben ein Temperatur- und Luftfeuchte Messgerät und darüber die Programmlochstreifen für den K1510-Rechner. Der Blick weiter rechts im Bild zeigt dann auch noch die Tastatur K7610 und Bedieneinheit K7612 sowie den Bildschirm ANA und den EPROM Programmierer K0410 mit Löschfach.


Lochbandgeräte und K1510-Rechner

Bei diesen Geräten waren alle analogen Anschlüsse mit vergoldeten Kontakten versehen, sodass auch Thermoelementmessungen störungsfrei durchgeführt werden konnten.

Die digitalen Informationen wie Messwerte, Datum, Uhrzeit und Messstellennummer wurden immer noch über ein SI1.2-Interface weitergeleitet. Allerdings waren nun zwei Interfacekabel nötig, um die Messwerte zu übertragen. Neben den 5 Messwertziffern und dem Vorzeichen wurden auch noch der Messbereich und die Messstellennummer übermittelt. Nur der Lochbandstanzer war über ein SIF1000-Interface angeschlossen. Darüber hinaus ist die Zahl der Steuerungsmöglichkeiten wesentlich erweitert worden. Durch Befehls- und Meldesignale wurde eine zuverlässige Steuerung ohne Laufzeiteffekte erreicht. Durch eine zeitoptimale Verkettung der einzelnen Geräte musste der nicht erst der gesamte Ablauf wie bei der 1. Generation abgewartet werden, sondern der MSU konnte bereits die nächste Messstelle einschalten, während der Messwert noch ausgestanzt wurde. Eine Programmierung des Messbereiches am DVM in Abhängigkeit von der eingeschalteten Messstelle war nun möglich. Das DVM arbeitete mit Doppelschrittintegration und ermöglichte eine Auflösung von 1 µV im kleinsten Messbereich von 20 mV. Dadurch wurden Störsignale weitgehend eliminiert.

Einige Geräte wie MSU-Schalteinheiten, Zeitpunktgeber, Lochband und Druckersteuerung verfügten über eine freie Programmierbarkeit, die wie schon beschrieben, eine feste Zuordnung von Messstelle und Messbereich ermöglichte. Feste Zeitpunkte für Start und Stopp einer Messserie waren programmierbar und mit dem Serialisierungssystem war sogar eine Verschlüsselung der Messwerte möglich. Diese Programmierung erfolgte allerdings noch mühsam durch stecken von Kurzschlussbrücken oder Programmierdioden auf Programmierfeldern (Bild 7).


Programmierfeld im Zeitpunktgeber

Die hier vorgestellte Anlage wurde in Jahre 1977 bis 1979 zunächst in einer Messwohnung in einem Plattenbau der Wohnungsbauserie 70 erprobt. Danach löste sie die Geräte der ersten Generation im bauphysikalischen Labor der Hochschule für Bauwesen Leipzig ab und arbeitete im vierundzwanzigstündigen Dauereinsatz, weitgehend störungsfrei bis zum Jahr 1992. Diese Zeit war durch eine sehr schnelle Entwicklung der Rechentechnik geprägt. Die unterschiedlichsten Rechnersysteme lösten sich in kürzester Zeit ab. Durch Verwendung von in anderen Bereichen der Hochschule ausgesonderter Rechentechnik erfolgten laufend Ergänzungen. Zunächst wurde an Stelle des Journaldruckers ein K1510-Rechner an die Anlage gekoppelt. Dieser berechnete eine Vorverdichtung der Messwerte. Später wurde ein zweiter K1510 dazu geschaltet, der bereits digitale Filteroperationen an den Messreihen vornahm. Um von den voluminösen Lochbandausgaben weg zu kommen, wurde ab 1988 ein Heimcomputer KC-85/1 zur Datenspeicherung eingeschaltet, der schließlich auf Befehl die angefallenen Daten an einen P8000-Rechner weiter gab, wo sie zunächst auf Festplatte gespeichert bzw. auf Diskette gesichert werden konnten und für umfangreichere Berechnungen zur Verfügung standen.

Die Wende im Jahre 1989 machte dieser Entwicklung ein Ende. Kleinere und leistungsfähigere Messtechnik war nun greifbar, die mit professioneller Software einfacher zu bedienen war. Im Jahre 1992 wurde die Anlage durch solche Geräte ersetzt. Die meisten Teile der Anlage wurden aus Platzgründen verschrottet.

Über die Jahre gerettet wurden nur das DVM und zwei Zeitgebersysteme einschließlich Takt- und Zeitpunktgeber. Während die Zeitgebersysteme noch voll funktionsfähig sind, lässt sich das DVM nicht mehr kalibrieren. Vermutlich hat die interne Eichquelle ihren Geist aufgegeben.


Digitalvoltmeter und zwei Zeitgebersysteme der ESDM31 Serie

Das folgende Bild zeigt einen Einblick in das Innenleben des DVM


Innenansicht des DC-DVM G-1203.500

Detailansicht des Platinenschachts des DC-DVM G-1203.500

Die rückseitigen Anschlüsse sind von links nach rechts: Netzstecker, digitale Eingangssignale, Steuerleitungen, 2 Buchsen für digitale Ausgangssignale, weitere Steuerleitungen und ganz rechts die analogen Eingänge für die zu messenden Signale. Hinter dem Netzteil befinden sich die Leiterplatten für die digitale Signalverarbeitung und Gerätesteuerung. Rechts unter der Abdeckung der analoge Messteil.

Die Geräte des ESDM wurden bereits im Jahre 1975 nicht nur ins sozialistische Ausland verkauft: es gab z.B. auch Service-Werkstätten in Kolumbien und Brasilien.



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