Entwicklung eines medizinischen Datenerfassungsgeräts

Anfang 1980 entstand in einem Herz-Kreislauflabor der Arbeitsmedizin in Berlin-Lichtenberg das Vorhaben, einen Mikroprozessor-gesteuerten Datenspeicher zu entwickeln mit dem Ziel, am Arbeitsplatz der Beschäftigten sowohl Messungen der Arbeitsumgebung (Lärm, Staub, Schadstoffe), als auch Messungen zur Gesundheitsüberwachung durchzuführen. Das batteriebetriebene, tragbare Gerät sollte, mit einem EKG-Verstärker versehen, die Speicherung der Herzfrequenz und die Erfassung von Rhythmusstörungen des Herzens am frei beweglichen Probanden/Patienten ermöglichen. Grundlage des Vorhabens war die Überzeugung, dass die NMOS-Technik des U880 zukünftig durch die stromsparende CMOS Technik ersetzt werden würde. Es dauerte, aber das Konzept ging auf.

Es wurde entwickelt: Auf folgende Aspekte soll näher eingegangen werden:
  1. Wie ging die Entwicklung des Batteriecomputers vonstatten?
  2. Mit welchen Maßnahmen war eine Verminderung des Stromverbrauchs zu erreichen?
  3. Fertigstellung


Zu 1. Entwicklung

Zum Kennenlernen des U880 gab es reichlich gut verständliche Literatur für den Amateur [1], [2]. Genaueres, aber schwer lesbares gab es im Kieser/Meder 3). Praktisch zur Sache gehen konnte man mit dem Heimcomputer Robotron Z1013 und schon bald konnte ich erste kleine Programme mit dem Befehlssatz des Mikrocontrollers in HEX-Code schreiben. Bei einem Elektronikingenieur in Beelitz-Heilstätten lernte ich in HEX-Code die Datenausgabe an einer PIO zu programmieren. Fünf Bit der PIO wurden mit einem Widerstands­Netzwerk 3628 des VEB Keramische Werke Hermsdorf in ein Analogsignal verwandelt. So konnte die Ausgabe angenäherter Analogsignale programmierte werden. Im Labor registrierte ich die CPU Steuersignale und die Daten auf dem Datenbus mit einem 12-Kanal Lichtschreiber. Alles wurde so gut verständlich, dass es mich reizte, ein U880-Demonstrationsmodell zu bauen


Demonstrationsmodell

Es wurden alle Steuersignale für das Datenlesen einschließlich Refresh-Signals für eventuell vorhandene DRAMs angezeigt. Nach dem Z1013 konnte ein MC80/21.1 mit einem U880-Objektcode-Editor (Assembler) zur Programmentwicklung eingesetzt werden. Das war eine große Erleichterung für das Programmieren. Mit dem resultierenden Maschinencode konnten jetzt die Programme auf EPROMs gebrannt und erprobt werden. Später wurde auf der Basis einer Neuerervereinbarung mit einem Mitarbeiter der Humboldt-Universität ein MC80 mit einem CP/M-Betriebssystem und einem Floppy-Disk Laufwerk versehen. Der Rechner funktionierte reibungslos. Disketten wurden über Westverwandte besorgt. Jetzt konnte die ständige Neuprogrammierung von EPROMs beendet werden, denn das aktuelle Programm wurde über die PIO des CP/M-MC80 direkt auf die Entwicklungsplatine übertragen. Ein Urlader auf dem EPROM übertrug die Signale in den RAM der Platine. Hier konnten das Programm und die Hardwarekomponenten erprobt werden. Die Entwicklungsplatine bestand aus einer gekauften fotolithografisch erzeugten einseitigen Leiterplatte mit U880-Busstruktur, die bei einer kleinen Firma auf der Basis von Manfred Kramer [2] gekauft werden konnte. Zur Überwachung wurden Testsignale und Testpunkte eingefügt. Oszilloskop und Frequenzmesser waren ständig angeschlossen und natürlich der Multizet zur Kontrolle der Stromaufnahme.

Nachdem alle Komponenten erprobt waren, wurde in großem Maßstab auf DIN-A3-Millimeterpapier mit Bleistift ein Verdrahtungsplan gezeichnet und die Schaltung auf einer 9x17 cm großen Universalleiterplatte realisiert – handverdrahtet!


Entwicklungsplatine handverdrahtet

Eine 40-polige IC-Fassung mit dem U880 wartete auf den großen Moment, wo ein Z84C00 (die stromsparende CMOS-Variante) seinen Platz einnehmen sollte. Neben der vorderseitigen Verdrahtung ist auf der Platine auch ein 32-KBit-Schaltkreis des VEB Keramische Werke Hermsdorf zu bewundern, der acht Stück CMOS SRAMs U2148 enthält.


Zu 2: Stromsparmaßnahmen

  1. Der EPROM
    Größter Stromfresser war der EPROM, der das Programm enthält. Experimente ergaben: Wenn er von der Stromversorgung getrennt wird, werden die Datenleitungen hochohmig. So war es möglich, bei jedem Start des Rechners das Programm in den RAM zu übertragen, dann den EPROM über einen Schalttransistor abzuschalten und das Programm im RAM weiterlaufen zu lassen.
  2. Der AD-Wandler
    Zur Speicherung und Verarbeitung des EKG-Signals wurde ein AD-Wandler C571 (HFO) verwendet, der auch bipolare Signale verarbeitet und über eine kurze Umsetzzeit verfügt. Dessen Steuersignale ermöglichten es, ihn direkt an die CPU anzuschließen. So konnte die üblicherweise hierfür eingesetzte PIO vermieden und Strom gespart werden. Wegen der bipolaren Abtastung benötigte der Schaltkreis eine zweite Versorgungsspannung von -15V. Um Strom zu sparen, wurde diese in den Messpausen abgeschaltet. Bei einer Abtastfrequenz von 100 Hz und einer Umsetzzeit von 40 µs war der AD-Wandler also nur zu 0,4 % der Zeit mit Spannung versorgt, verbrauchte also kaum Strom. Die -15 V wurden mit zwei U7660 durch Ladungstransfer aus den +5 V gewonnen.
  3. Abtastfrequenz, Zeiten
    Alle Zeitintervalle wurden ohne CTC aus dem CPU-Takt von 1 MHz abgeleitet.
  4. Der bei einer Messserie gespeicherte Herzfrequenzverlauf musste auf einen Bürocomputer PC1715 übertragen werden. Das erfolgte über eine Software-programmierte serielle Schnittstelle (SIO). Ein SIO-Schaltkreis war hierfür nicht nötig.
  5. Analoge Datenausgabe
    Bei Einsatz des Batteriecomputers als Herzrhythmusspeicher war es notwendig, die gespeicherten EKG-Abschnitte mit einer Rhythmusstörung an einen EKG-Schreiber auszugeben. Hierfür wurde eine sehr einfache Softwarelösung ohne weitere Bauelemente und ohne nennenswerten Stromverbrauch entwickelt. Die aus dem RAM ausgelesenen Abtastwerte wurde über diese Software-Schleife ausgegeben: Bei 1:1 Wiedergabe und einer Abtastfrequenz von 100 Hz repräsentierte ein Abtastwert von 0 bis 255 einen Zeitabschnitt von 10 ms. Das sind bei 1 MHz 10.000 Takte. Die Softwareschleife mit konstanter Länge von 10.000 Takten gab in gleichmäßigen Abständen 0 bis 255 Impulse eines freien Ausgangs des I/O Dekoder aus. Wurden diese Impulse auf den Eingang eines EKG-Schreibers gegeben, wurde das Signal durch dessen Bandpass soweit gefiltert, dass die Impulse als EKG registriert werden konnten. Das war möglich, weil das EKG nur eine obere Grenzfrequenz von ca. 100 Hz hat. Die ausgegebenen Impulse lagen im Hörbereich. Dadurch konnte das EKG zu Beginn der Messungen über einen Piezogeber zur Kontrolle abgehört werden.


Zu 3: Fertigstellung

Die als Entwicklungsmodell gebaute Leiterplatte wartete mit ihrer Steckfassung auf den U880 in der stromsparenden CMOS-Ausführung U84C00 / Z84C00.

Eines Tages verkürzte ein Glücksfall das Warten: Ein Firmenvertreter der Firma Siemens, der die Medizintechniksparte in der DDR vertrat, bat mich um eine Einschätzung zu den aktuellen Chancen zum Import von Siemens Medizintechnik in der DDR. Da ich regelmäßig Medizintechnik Tagungen besuchte und Mitglied der Gesellschaft für Medizintechnik der DDR war, konnte ich seine Fragen sachkundig beantworten. Als Dankeschön sollte ich mir etwas wünschen. Das gewünschte Dankeschön war eine IC-Stange mit mehreren CMOS Prozessoren Z84C00 und 32 KB SRAMs von TOSHIBA (TMPZ84C00AP-6, TC55257P-10). Der Wechsel der Prozessoren war natürlich DAS Glücksmoment. Der Strom der Leiterplatte sank bei gleicher Funktion von über 100 mA auf ca. 7 mA.

Und 1989 konnte ich am Eingang einer Altbauwohnung in Erfurt einige der ersten Exemplare des U84C00 aus der Vorserienfertigung des VEB Mikroelektronik Erfurt in Empfang nehmen und auch sie taten ihre Arbeit mit 7 mA in der Gesamtschaltung.

Inzwischen bemühte ich mich, die entwickelte Lösung in eine Produktion zu überführen, aber ohne Erfolg. Aber es gelang mir durch persönliche Bemühungen und Kontakte, eine Nullserie der zweiseitigen Leiterplatte für den Batteriecomputer und für den EKG-Verstärker produzieren zu lassen, eine kleine Geschichte für sich. Die Bestückung dieser Leiterplatte für den Bau der ersten Geräte war natürlich ein Vergnügen.


Rechnerplatine doppelseitig

Die Leiterplatte für den EKG-Verstärker und die Rechnerplatine war passend für ein Gehäuse des VEB Thermometerwerk Geraberg konzipiert worden. Die sechs R6-Batterien im Batteriefach dieses Gehäuses reichten für ein Betriebszeit von >24 Std. Bis dahin musste der Rechner die gespeicherten Daten wieder hergeben.

Auf die als nachnutzbarer Neuerervorschlag in der Zeitschrift RFE angezeigten Batteriecomputer gab es einige Nachnutzungsinteressenten für einen transportablen Messcomputer und Datenspeicher im Leistungssport, in der Forstwirtschaft, im Landmaschinenbau und bei der Deutschen Reichsbahn, von denen einige realisiert wurden.


Das gesamte Gerät, geöffnet



Literatur


Dr. Gerd Meinert



Letzte Änderung dieser Seite: 10.05.2023Herkunft: www.robotrontechnik.de