046
21.03.2023, 10:06 Uhr
AE
Default Group and Edit
|
. So ich mich recht erinnere, lebten vor 1990 süd- bis westlich der innerdeutschen Erlebniswelt-Trenneinrichtung dreimal mehr Menschen, als nörd- bis östlich davon. Es sollten sich folglich dort auch deutlich mehr Liebhaber alter Rechentechnik finden, die in der Lage und Willens sind, ohne rosarote Brille, dafür mit gezügeltem Lokalpatriotismus und entsprechendem Sachverstand ausgerüstet einen kurzen, zusammenfassenden und weitgehend vollständigen Überblick zu den westdeutschen Taschenrechnern der 1970er Jahre zu erarbeiten. Leider vermisse ich solchen bis heute ... . Nach einer kritisch-anregenden Gesprächsrunde überarbeitete ich für die Staßfurter Taschenrechner-Ausstellung "minirex u.a." <https://www.robotrontechnik.de/html/forum/thwb/showtopic.php?threadid=20443> mein entsprechendes Informationsblatt und stelle es nachstehend Interessierten zur Verfügung. Dazu die in die Welt eines anderen Konsumguts transformierte, provokante Frage: Worin besteht die technikgeschichtliche Ingenieursleistung für einen Porsche, ausgestattet mit einem Motor und Fahrwerk, die in Japan konstruiert und in Südkorea hergestellt wurden? Weiterhin noch die allgemein bekannte Feststellung: Für die liebe Omi ist die erste Kritzelei der Enkelin wertvoller, als der auf einer Kunstauktion ersteigerte Otto Dix! Und nun freue ich mich auf eine sachdienliche Diskussion.
Bitte beachtet: Es soll kein themenspezifischer Sachaufsatz sein, bei dem die Aussagen auch belegt werden, sondern es handelt sich um ein eine Ausstellung ergänzendes Informationsblatt. (Die "Überall-Rechner" der Firma Walther (Gerstetten/Schwaben) klammerte ich aus.) . ---------- . Die Westdeutschen Taschenrechner . Praktisch vom Beginn an (1971) wurden in der Bundesrepublik die zunächst nur in Japan und erst etwas später in den USA in Großserien-Produktion hergestellten Taschenrechner angeboten und für Preise deutlich über 1000?DM auch verkauft. In dieser noch Hochpreis-Phase im Sommer 1972 begannen drei westdeutsche Firmen mit der Fertigung elektronischer Taschenrechner. Ihre ersten Modelle basierten ausschließlich auf dem von TI erarbeiteten und mit zugehörigen Bauteilen untersetzten Konzept: ein Taschenrechner-Schaltkreis aus der TMS0100-Familie, dazu Stellen- und Segment-Treiber, eine Betriebsspannung aus einer Primärzellen- oder Akkumulatoren-Batterie, die zweite durch einen Transverter erzeugt, Anzeige durch rot leuchtende 7-Segment-LED-Anzeigemodule, Bedienung mittels einer Tastatur-Baugruppe. Und TI bot selbstverständlich alles, bedingt durch Massenproduktion, preisgünstig an.
Das erste Taschenrechner-Modell der Dittel Meßtechnik GmbH in Landsberg am Lech, der W200 nutzte als Taschenrechner-Schaltkreis einen TMS0105 (Er wurde zu dieser Zeit am häufigsten eingesetzt und war deshalb auch am preiswertesten), als Segmenttreiber zwei SN75491, als Stellentreiber zwei SN75492 und eine Tastatur-Baugruppe, alles von TI. Nur für die Anzeige kamen drei 3stellige LED-Module DL33A von litronix zum Einsatz. Er wurde auch als MBO Junior vermarktet. Ein weiterer Pionier der bundesdeutschen Taschenrechner-Produzenten war die Firma Franz Grigelat Elektrogeräte aus Rückersdorf (bei Nürnberg). Auch im Modell Multiplus arbeitete ein TMS0105 von TI. Die Schaltung entsprach weitgehend der des Bowmar 901B. Das Besondere, dieser Taschenrechner wurde zunächst preiswert als Bausatz angeboten. Der Hersteller lieferte die zwei Leiterkarten, alle erforderlichen Bauteile, ein spezielles "Klappetui" und eine ausführliche technische Dokumentation (!). Der weiterentwickelte Typ Multiplus M (mit einem Speicher) war 1974 als Bausatz für 158 DM erhältlich, jedoch auch als Fertiggerät zu kaufen. Der Dritte im Bunde war die Hunte electronic GmbH & Co. KG (Huntlosen/Oldenburg) mit dem Helec GT 530 "tip-in". Die Tastatur-Baugruppe lieferte TI. Diskrete Transistoren arbeiteten als Stellen- und Segmenttreiber. Als Anzeigebauelemente wurden zwei hp-LED-Module mit Lupen verwendet. In die Tastatur war eine rote LED zur Unterspannungsanzeige integriert. Dieser Taschenrechner wurde mit anderer Tastengestaltung vom Versandhaus Quelle als privileg electronic 2000 angeboten. Allgemein gilt jedoch der von den ARISTO Werken Dennert & Pape KG in Hamburg-Altona ab Herbst 1972 serienmäßig hergestellte ARISTO M27 als erster bundesdeutscher Taschenrechner (Preis Ende 1973 ca. 300 DM). Entwickelt wurde er vom Berliner Lehrer Hilmar Bentert ebenfalls auf Basis des TMS0100-Konzepts. Ab 1974 löste eine Reihe mit fünf Modellen den Erstling ab. Sie reichte vom M64 (vier Grundrechenarten mit achtstelligen Operanden, %- und squ(x)-Funktion; Preis 1974 - ca. 320 DM) bis zum M75 (mit Winkel- und Exponentialfunktionen sowie Logarithmen und einem rechnenden Speicher). Die elektronischen Baugruppen der zweiten Modellreihe waren augenscheinlich bereits in Fernost produziert worden. Die ARISTO-Taschenrechner mit Flüssigkristall-Anzeige waren dann nur noch zugekaufte OEM-Erzeugnisse. 1973 begann auch der Hörgeräte-Hersteller INTERTON ELECTRONIC Köln mit einer Taschenrechner-Produktion. Bei den Modellen PC 2008 und PC 2010 gab es offensichtlich eine Zusammenarbeit mit der Firma Grigelat (Multiplus M). INTERTON brachte seine langjährige Erfahrung als Elektronik-Hersteller ein. Was auch an der Leiterkarten-Ausführung und Schaltungsoptimierung zu erkennen ist. Es wurden gleiche Gehäuse und Tastatur-Leiterkarten verwendet, nur anders bedruckt. Das Modell VIP 10 (vier Grundrechenarten mit zehnstelligen Operanden und %-Funktion) war für damalige Verhältnisse extrem flach (nur 9 mm hoch) und wurde aus nur vier Knopfzellen gespeist (Konzept des englischen Sinclair Executive). Ab 1974 fertigte auch der traditionsreiche Rechenschieber-Hersteller Faber-Castell Taschenrechner. Sein Modell TR1 stellte eine Symbiose aus Vorderseite Taschenrechner (für numerische Aufgaben mit achtstelligen Operanden in den vier Grundrecharten einschließlich 1/x-, squ(x)- und %-Funktion sowie einem saldierenden Speicher) und Rückseite Kunststoff-Rechenschieber (für Reziprok- und Kubikzahlen sowie Logarithmus- und Exponentialfunktionen) dar. Der Taschenrechner-Teil ist offensichtlich eine Fortführung der VIP 10-Konstruktion. Nachfolgend hergestellt wurden auch die Typen TR2, TR3, TR4 und TRX. Letzterer war nur noch Taschenrechner. Er hatte auch die Funktionen des Rechenschiebers übernommen. Auch die OLYMPIA AG Wilhelmshafen stellte mit dem CDR 1 einmalig einen Taschenrechner her. Mit anderer Bedruckung wurde er auch als Brunsviga R10 angeboten.
Die meisten in der Bundesrepublik unter deutschem Markennamen verkauften Taschenrechner waren jedoch "made for Germany". Die dafür erforderlichen Schaltkreise und Anzeigebauelemente wurden sowieso von amerikanischen oder japanischen Firmen gekauft. Bemerkenswert sind die frühen Taschenrechner der TRIUMPH-ADLER Vertriebs-GmbH Nürnberg (zu dieser Zeit bereits eine Tochtergesellschaft des amerikanischen Litton-Konzerns (Litton Industries - Milwaukee/Wisconsin). Zusammen mit Sumlock Anita (dem Hersteller des ersten elektronischen Tischrechners) wurde der ADLER 81/ANITA 811 entwickelt und in England ab 1972 produziert (Preis 1973 ca. 400 DM). Nachdem Rockwell International die englische Firma aufgekauft hatte, mußte sich TRIUMPH-ADLER einen neuen Produzenten suchen. Bei Vorgabe der Gestaltungslösung und rechentechnischen Funktionalität überließ man die Fertigung fortan dem Hersteller OMRON TAITESI ELECTRONICS Co. (Tokyo/Japan). Eine Modellreihe reichte 1974 vom ADLER 80C (vier Grundrechenarten und %) über den ADLER 81S (vier Grundrechenarten, squ(x),% und ein saldierender Speicher) bis zum ADLER 88T (wissenschaftliche Funktionen). Diese Taschenrechner wurden auch unter den von Litton gekauften Markennamen TRIUMPH, ROYAL, MONROE und IMPERIAL vertrieben.
Zahlreiche Firmen in einigen Ländern produzierten 1975 bereits zig Millionen Taschenrechner. So konnte man in einschlägigen Geschäften und im Versandhandel der BRD die billigsten Modelle (mit den vier Grundrechenarten in 8stelliger Anzeigegenauigkeit) schon unter 50 DM erwerben. Taschenrechner mit zusätzlichen Funktionen (zunächst %, 1/x, squ(x), sqr(x) und ein Speicher) kosteten bereits rund das Doppelte. Für Taschenrechner mit wissenschaftlichen Funktionen (wie Logarithmen, Exponential- und Winkelfunktionen) waren aber noch deutlich über 300 DM zu bezahlen. Die Herstellung elektronischer Taschenrechner wurde in der Bundesrepublik noch vor 1979 eingestellt, da durch die vor allem asiatische Konkurrenz keine Gewinne mehr erwirtschaftet werden konnten. (Die von der BRAUN AG in der zweiten Hälfte 1970er Jahren verkauften Modelle waren OEM-Erzeugnisse der japanischen Firma OMRON.)
Anmerkung: OEM - original equipment manufacturer. So wird ein Wirtschaftsgebaren bezeichnet, bei dem überwiegend ein Handels- oder Vertriebsunternehmen eine andere Firma oft bei Vorgabe von Gestalt und Funktion mit der Herstellung einer Ware beauftragt, um sie dann unter eigenem Markennamen möglichst Gewinn bringend zu verkaufen. Dieser Beitrag wurde am 21.03.2023 um 10:17 Uhr von AE editiert. |