Bericht über einen Besuch von Wetron in Weida am 22./23.3.1990

Nach dem Mauerfall 1989 hat die Treuhandanstalt in der ehemaligen DDR nach Möglichkeiten zur Privatisierung der Volkseigenen Betriebe gesucht. In diesem Rahmen hat die deutsche Niederlassung der Fr. Sauter AG Basel ausgelotet, ob eine Zusammenarbeit oder Übernahme eines ehemaligen DDR-Betriebes als Geschäftserweiterung im Hinblick auf die Märkte der künftigen neuen Bundesländer Sinn machen könnte. Bei dieser Suche fand man in Wetron Weida einen Betrieb, der zur Branche passte. Wetron fabrizierte unter anderem Heizungsregler mit ähnlichen Funktionen wie sie damals im Werk Basel bei Sauter hergestellt wurden. So wurde ein Besuch in Weida arrangiert um sich vor Ort ein Bild von diesem Betrieb zu machen. Die Delegation bestand aus den Herren Günther M. (Geschäftsleiter bei Sauter Cumulus in Freiburg D), Ulrich B. (Fabrikationsleiter Sauter Basel) und dem Berichterstatter, Markus Brückner (Bereichsleiter Components bei Sauter Basel). Hier sind unvollständig Erinnerungen an diesen Besuch wiedergegeben und auch Eindrücke und Geschichten, die beim Nachtessen in Gera und beim Firmenrundgang von Mitarbeitern an die Oberfläche kamen. Vorweg muss ich sagen, dass wird durchgehend sehr freundlich empfangen wurden und die Gespräche waren offen und herzlich.


Betriebsrundgang

Wetron war damals ein Betrieb mittlerer Größe. Technologisch wurden sowohl rein mechanische als auch elektronische Geräte hergestellt. Ich erinnere mich an den Aufzieh-Küchenwecker mit einem mechanischen 1-Stunden Werk, den ich als Mitbringsel von diesem Besuch geschenkt bekommen habe. Der Stand der Technik konnte sich sehen lassen. Prints wurden auf Lötstraßen gefertigt. Bei der Prüfung der Geräte wurde die Luft dann aber schnell dünn.

Von besonderem Interesse war für mich der Heizungsregler. Es dürfte der Typ R304 gewesen sein. Die Zahl der Komponenten in Handbestückung war bei diesem Gerät enorm groß im Vergleich zu unserem damaligen Produkt Equitherm. In tiefer Erinnerung ist mir, wie die Einstellung der Fühlerkennlinien auf einer Vorrichtung vorgenommen wurde. Der Vorgang entsprach der Eichung der Messwerte der 3 Temperatureingänge über einen Bereich von -20 bis + 90 °C. Die Arbeiterin drehte an verschiedenen Potis und kontrollierte laufend das Resultat. Dass Abgleichverfahren war iterativ und benötigte für alle 3 Eingänge eine Stunde Zeit. 1990 hatten wir bei Sauter In-Circuit-Tester und Funktionsprüfautomaten, die diese Arbeit in 1-2 Minuten erledigten. An diesem Punkt war mir bereits klar, dass an eine Übernahme von Produkten aus der Wetron-Fertigung nicht zu denken war.

Natürlich hätte man die Fertigung von Sauter mit der Akquisition von Wetron erweitern können, aber der Fabrikationsleiter von Sauter hatte in den 80er und 90er-Jahren dank technologischem Fortschritt die Fabrikationsflächen im Konzern laufend verkleinert bei gleichzeitig größerem Ausstoß an Funktionseinheiten. Der Bedarf war nicht vorhanden.

Länger habe ich mich im Vorrichtungsbau aufgehalten, wo die Einrichtungen und Prüfgeräte für die Fertigung gebaut wurden. Für Prüf- und Einstellabläufe brauchte man damals bei Wetron logische Schaltungen. Computerisierte Test- und Prüfgeräte habe ich keine gesehen. Die Logik für die Abläufe wurde mit selbst entwickelten und im Haus gelöteten Prints und Baugruppen in Dioden-Transistor-Logik aufgebaut. Mir wurde erklärt, dass Wetron die Auflage habe, Prüfeinrichtungen mit eigenen Mitteln zu bauen. Ein Import oder Zukauf von hochentwickelten und universell einsetzbaren Geräten bei Spezialherstellern im In- oder Ausland war verboten oder es gab keine Devisen dafür. Ich weiß noch wie ein Mitarbeiter sich wehmütig an mich wandte und sagte, sie dürfen nicht so schöne Messgeräte beschaffen wie das die Firmen im Westen können.

Der Rundgang führte weiter durch das Lager. Es war eine Halle, vielleicht 30 x 20 Meter groß. Irgendwie machte das nicht einen besonders geordneten Eindruck, aber die Leute haben ihre Komponenten schon gefunden. An der Decke hing ein rechter Kotflügel eines Trabi-Transporters. Ich musste schon fragen, weshalb im Komponentenlager Auto-Ersatzteile gelagert werden. Man erklärte mir, sie hätten eine günstige Gelegenheit gehabt um diesen Kotflügel zu bekommen und so haben sie ihn ins Lager genommen für den Fall, dass ihr Transporter einen Blechschaden hat. Trabi-Ersatzteile seien so schwer zu erhalten, dass diese Einlagerung für sie gerechtfertigt gewesen sei. Damit war aber nur ein Blechschaden am rechten Kotflügel abgedeckt…

Bei der Behandlung der Entwicklungen wurde uns ein Kuriosum erzählt. Um den Parteikadern zu gefallen, hatte man einmal einen Boxroboter entwickelt, ein Gerät zum Trainieren von Boxern. Sport-Förderung hatte in der DDR einen hohen Stellenwert. Davon haben die Entwickler mit Humor und Lachen erzählt. So ein Gerät passte von der Technologie und der Größe her gar nicht in die vorhandenen Fertigungseinrichtungen. Es war ein Auswuchs, wie er nur entstehen konnte, wenn die Partei zu viel Einfluss auf das wirtschaftliche Geschehen hat.

Für die Beteiligung an Wetron war auch wichtig das Umfeld anzusehen. Man hat uns ehrlich gesagt, dass die Galvanik früher mit den Chemikalien nicht sorgfältig umgegangen sei. Bei näherem Hinschauen hätte man mit Sicherheit Altlasten gefunden, die nach heutigen Umweltschutzauflagen durch Ausgraben des betroffenen Erdreichs hätten entsorgt werden müssen. Diese Feststellung hat auch den Liegenschaftswert in unseren Überlegungen stark vermindert.

Die Planung und die Anforderungen an die Firma wurden vom Wirtschaftsrat der Regierung vorgegeben. Ein jährliches Wachstum des Umsatzes von 5 bis 6% wurde gefordert. Das war in den 80ern Jahren in dieser Branche auch bei Sauter schwierig bis gar nicht zu erreichen. Um aber dem Plan zu entsprechen, wurden jede erdenkliche Manipulationen im Rechnungswesen durchgeführt, damit unter dem Strich der Plan scheinbar erfüllt war. Diese Spielchen wurden von den Leuten mit Humor weitergegeben.

Wir wurden für die Übernachtung im FDGB-Ferienheim Talsperre Zeulenroda einquartiert (FDGB = Freier Deutscher Gewerkschaftsbund). Für die Feriengäste gab es viele Anweisungen beim Eingang angeschlagen. Wann und an welchem Wochentag man einzuchecken hatte und wann man das Heim wieder verlassen musste. Wechsel waren nur an einem einzigen Wochentag möglich, ich glaube es waren der Donnerstag für die Anreise und der Mittwoch für die Abreise bestimmt. Seine Beteiligung an offerierten Unterhaltungen musste man bis Freitag einschreiben. So z.B. den Töpferkurs an einem Dienstag und ähnliche Angebote. Familien mit Kindern habe ich von meiner Übernachtung im März her nicht in Erinnerung.

Auf der Fahrt in einem Trabi zur Unterkunft sind wir an einer Kinderbetreuungsstätte vorbeigekommen. Da war ein Haus und eine weite umzäunte Wiese. Auf der Wiese spielten gleichmäßig verstreut sicher 100 Kinder. Ich habe nicht gezählt, aber es waren viele und alle von der Größe her nicht älter als Kindergartenalter. Drei Aufsichtspersonen ragten über die Menge der Kinder hinaus. Unser Fahrer entschuldigte sich, dass wir dieses Kinderghetto sehen mussten.

Am Abend wurden wir zu einem Nachtessen auf der Anhöhe über Gera eingeladen. Das war sehr gemütlich. Damals war die Luftverschmutzung durch Braunkohle-Heizungen derart schlimm, dass man die Lichter der Stadt nur durch einen dunklen Schleier sehen konnte. Die Luft roch penetrant nach verbrannter Braunkohle. Essen war unter diesen Umständen nur im Innenraum denkbar.

Beim Abendessen wurde die Geschichte vom Kabelfernsehen zum besten gegeben. Es war ja verboten, seine Dachantennen nach dem Westen auszurichten um westliches Fernsehen oder Radio zu empfangen. Da ist es einem gelungen, die Antenne so versteckt im Dach zu montieren, dass man es von der Straße her nicht sehen konnte. Nun mussten die Nachbarhäuser und weitere Gebäude mit diesen Inhalten auch versorgt werden, und zwar so, dass man keine Antennen sehen konnte. Heimlich hat man ein Kabel von Haus zu Haus gegraben und das Signal so weitertransportiert. Dann kam der Tag, wo man die gegenüberliegende Seite der Straße versorgen wollte. Ein Dorfbewohner von der Dorfverwaltung hatte Zugang zu einem Bagger und so hat man nachts einen Graben quer in der Straße ausgehoben. Pech war, dass die Schaufel das Elektrizitäts-Kabel erwischte und das ganze Dorf plötzlich im Dunkeln war. Dabei ist alles aufgeflogen. Das hat eine Untersuchung ausgelöst und wie die Geschichte im Detail zu Ende ging, kann ich nicht mehr sagen, aber irgendwie haben sich die Leute herausgeschwatzt und die Geschichte hat nicht schlimm geendet.

Niedergeschrieben am 2.8.2021, Markus Brückner



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